EKD-Ratsvorsitzende Kurschus legt ihr Amt nieder - Reaktion aus Hamm

Am Ende war der Druck zu groß: Annette Kurschus gibt ihr Amt auf. Hintergrund sind Vorwürfe, sie habe vom Verdacht eines sexuell übergriffigen Verhaltens gegen einen Ex-Kirchenmitarbeiter gewusst.

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Evangelische Kirche

Bielefeld/Hannover (dpa) - Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, tritt von ihrem Amt zurück. Das teilte die 60-Jährige in einer persönlichen Erklärung in Bielefeld mit.

Kurschus räumte keine Fehler bei der Aufarbeitung eines Verdachtsfalls ein. «In der Sache bin ich mit mir im Reinen», sagte sie. «Ich habe zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.» Seit mehr als einer Woche werde in der Öffentlichkeit ein Konflikt zwischen Betroffenen von sexualisierter Gewalt und ihr als Amtsträgerin geschürt, kritisierte Kurschus. Diesen Konflikt könne und werde sie nicht öffentlich austragen.

Mit ihrem Rücktritt will sie die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt voranbringen. Ein Konflikt zwischen den Betroffenen und ihr könnte die «Erfolge» gefährden, «die wir in der Aufarbeitung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt gemeinsam mit Betroffenen in vielen Jahren errungen haben», sagte die Theologin. «Für die Menschen, die hier an der Arbeit sind, stehe ich. Ihnen will ich nicht mit Schlagzeilen durch einen Verbleib im Amt schaden.»

«Ich trete von beiden kirchlichen Leitungsämtern zurück»

Gegen sie waren Vorwürfe erhoben worden, sie habe angeblich schon vor vielen Jahren vom Verdacht eines sexuell übergriffigen Verhaltens gegen einen damaligen Kirchenmitarbeiter gewusst. «Ich trete von beiden kirchlichen Leitungsämtern zurück», sagte Kurschus. Sie war neben dem Ehrenamt an der Spitze der EKD schon seit 2012 Präses der westfälischen Landeskirche. Auch dieses Amt gibt sie auf.

Bei der Synode in Ulm hatte Kurschus vor knapp einer Woche betont, sie weise die «Andeutungen und Spekulationen», die in der «Siegener Zeitung» gegen sie erhoben würden, mit Nachdruck zurück. Die Siegener Staatsanwaltschaft ermittelt in mehreren Verdachtsfällen gegen einen früheren Kirchenmitarbeiter, der in den 1990er Jahren wie Kurschus im Kirchenkreis Siegen tätig war. Ob bei dem Mann strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, ist laut Staatsanwaltschaft bisher ungeklärt. Für Kurschus geht es im Kern um die Frage, was die Geistliche wann von mutmaßlichen Verfehlungen des Beschuldigten gewusst hat.

Druck auf Kurschus war enorm gewachsen

Der Druck auf die EKD-Vorsitzende, die rund 19,2 Millionen evangelische Christinnen und Christen vertritt, war enorm gewachsen.

Die Betroffenen im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD waren zuletzt auf Distanz zur EKD-Ratsvorsitzenden gegangen. Ihre Glaubwürdigkeit sei in Frage gestellt, «eine klare, lückenlose und unabhängige Aufklärung» geboten. Ein Gremien-Sprecher hatte Kurschus als nicht mehr tragbar bezeichnet. Auch die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, war auf Abstand gegangen.

Kurschus hatte beteuert, sie kenne den Siegener Fall erst seit Anfang 2023, als eine anonyme Anzeige gegen die nun beschuldigte Person eingegangen sei. «Vorher hatte ich keine Kenntnis von Taten sexualisierter Gewalt durch diese Person». Die mutmaßlichen Vorfälle sollen sich vor allem in den 1990er Jahren ereignet haben, der Beschuldigte ist inzwischen Rentner.

Gläubige in Hamm sind erschüttert

Die Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises in Hamm, Kerstin Goldbeck, sagte im Lippewelle Interview, sie sei erschüttert. Es stehe ein Gefühl des großen Verlustes für die Kirche im Vordergrund, so Goldbeck. Und genauso groß wie die Erschütterung sei auch der Respekt vor der dieser Entscheidung von Annette Kurschus. Es sei mit Sicherheit keine leichte gewesen, so die Hammer Superintendentin. 

Man habe heute ein Kirchengesetz zur Prävention von sexualisierter Gewalt auch bei kleineren Fällen, die der Kirche zu Ohren kommen. In den letzten 25 Jahren sei die Sensibilität in der Kirche dramatisch und wohltuend gewachsen, so Goldbeck. Man sei heute deutlich wacher. Und es bedrücke sie, dass dieser Vorfall von vor 25 Jahren auch mit den heutigen Maßstäben bewertet werde. Das sage sie in aller Vorsicht, so die Hammer Superintendentin.

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