Messerattacke in Hamm: 250 Menschen bei Gedenk-Gottesdienst

Nach dem Messerangriff an der HSHL herrscht auf dem Campus Trauer. Hunderte Studierende und Mitarbeiter haben der getöteten 30-jährigen Lehrbeauftragten gedacht. Am Mittwoch gab es auch einen öffentlichen Gedenk-Gottesdienst in der Pauluskirche.

NRW-Ministerpräsident Wüst bei der Gedenkveranstaltung an der HSHL.
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Gedenk-Gottesdienst am Mittwoch in der Pauluskirche

Circa 250 Menschen drückten am Mittwochabend in der Pauluskirche ihre Anteilnahme aus. Darunter waren unter anderem viele Studierende der HSHL und weitere Angehörige der Hochschule. Auch Rettungskräfte sowie Vertreter der Stadt nahmen teil. Der ökonomische Gottesdienst wurde von Pfarrerin Astrid Taudien und Pfarrer Bernd Mönkebüscher gestaltet. Noch nach dem Gottesdiest waren viele Menschen auf dem Marktplatz in Gesprächen vertieft. Die Notfallseelsorge bot ihre Hilfe an.

An der HSHL in Hamm finden in den nächsten beiden Wochen keine Lehrveranstaltungen statt, sie bleibt aber geöffnet. Wenn in zwei Wochen die Prüfungsphase beginnt, wird es für die Studierenden sogenannte Freiversuche geben.

© Tilman Walther-Sollich, Evangelischer Kirchenkreis Hamm
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Ehemaliger Psychiatrie-Chefarzt aus Hamm: "Perspektive der Opfer berücksichtigen"

Immer wieder stellt sich im Zusammenhang mit der Messerattacke auch die Frage nach dem Warum. Wir haben mit Professor Karl-Heinz Beine gesprochen, dem langjährigen Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Marien-Hospital.

Der 34-jährige mutmaßliche Täter sei psychisch krank und dieser Umstand müsse bei seiner Verurteilung berücksichtigt werden, sagte uns Staatsanwalt Henner Kruse. Beine plädiert aber vehement dafür, bei allen Überlegungen zum Täter die Sicht der Opfer nicht zu vergessen: "Aus ihrer Perspektive spielt es überhaupt keine Rolle, warum mich jemand schädigt. Und wenn wir im Einzelfall nicht verhindern können, dass jemand geschädigt wird, müssen wir mindestens Risikominimierung betreiben für das nächste Mal. Und wir müssen signalisieren, wo die Grenzen in diesem Land sind - schlimme Kindheit hin oder her."

Gleichzeitig betont Beine, dass eine Sicherungsverwahrung bei psychisch kranken Tätern zwar keine Verurteilung im klassischen Sinn ist. Sie kämen aber trotzdem nicht einfach davon: "Die Sicherungen im Maßregelvollzug sind in der Regel sogar deutlich länger als die entsprechenden Gefängnisstrafen."

Das komplette Interview mit Beine könnt ihr hier nachhören.

Der ehemalige Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Marienhospital an der Knappenstraße Prof. Dr. Beine.
Der ehemalige Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Marienhospital an der Knappenstraße Prof. Dr. Beine.© Radio Lippewelle Hamm
Der ehemalige Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Marienhospital an der Knappenstraße Prof. Dr. Beine.
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30-jährige Dozentin stirbt nach Messerattacke

Nach dem Messerangriff eines 34-jährigen Mannes in Hamm am Freitag (10. Juni) ist eines seiner Opfer - eine 30-jährige Lehrbeauftragte - am Samstag im Krankenhaus verstorben. Die Frau aus Essen erlag in den späten Nachmittagsstunden ihren Verletzungen, hieß es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft und der Polizei.

Vor der Hochschule haben Trauernde einige Blumen niedergelegt.
Vor der Hochschule haben Trauernde einige Blumen niedergelegt.© Radio Lippewelle Hamm
Vor der Hochschule haben Trauernde einige Blumen niedergelegt.
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Weitere Opfer sind auf dem Weg der Besserung

Bei dem Messerangriff waren auch drei Studierende im Alter von 22 Jahren verletzt worden. Zwei von ihnen, ein Student und eine Studentin, hätten das Krankenhaus mittlerweile verlassen können, sagte uns Staatsanwalt Henner Kruse am Dienstag (14.6.). Auch das dritte Opfer sei auf dem Weg der Besserung. Die junge Frau sei mittlerweile von der Intensivstation auf eine normale Station verlegt worden. Sie hatte heftige Bauchverletzungen erlitten und war notoperiert worden.

Gedenkveranstaltung an der HSHL

Hunderte Studierende und Lehrende haben am Montag, 13. Juni, an einer Gedenkstunde für die getötete 30-jährige Lehrbeauftragte teilgenommen. Auch Hamms Oberbürgermeister Marc Herter und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst waren dabei. Viele Menschen haben mittlerweile an der Marker Allee Kerzen und Blumen niedergelegt, am Parkplatz, aber auch vor Hörsälen.

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Regulärer Lehrbetrieb vorerst ausgesetzt

Die Hochschule werde so schnell nicht zum Alltag zurückkehren. Gemeinsam mit den Heads of Department hat das Präsidium am 13.06.2022 entschieden, dass der reguläre Lehrbetrieb bis zum Beginn des Prüfungszeitraums am 27. Juni an beiden Campus ausgesetzt wird. "Wir möchten aber ganz bewusst darauf hinweisen, dass die beiden Campus nicht geschlossen sein werden. Es sollen an beiden Campus individuelle Gesprächsangebote vor Ort geschaffen werden für alle, die sich ein Stück Normalität und die Rückkehr auf den Campus wünschen," heißt es von der Hochschule.


Mann war bereits vorher aufgefallen

Der zuständige Staatsanwalt in Dortmund sagt: Der polizeibekannte Mann sei in die Hochschule gelaufen, um wahllos Menschen zu töten. Der Tatverdächtige sei schon lange in Behandlung gewesen. Er hatte paranoid-schizophrene Wahnvorstellungen und glaubte, seine Mitmenschen wollten ihn töten. Kurz vor der Tat hatte er sich selbst aus der Psychiatrie entlassen, weil er im Wahn geglaubt haben soll, dass ihn die Ärzte vergiften würden. Daraufhin hatte er zwei Küchenmesser gekauft.

Sein erstes Opfer, eine 22-jährige Frau, saß nichtsahnend im Foyer, sie erlitt Schnittverletzungen. Dann ging der mutmaßliche Täter weiter, zu einem 22-jährigen Mann, der noch ausweichen konnte. Und anschließend verletzte er mit acht Messerstichen eine 28-Jährige im Bauch. Sie wurde durch eine Not-Operation gerettet und liegt aktuell auf der Intensivstation.

In einem Hörsaal rief er dann einer 30-jährigen Lehrbeauftragten aus Essen zu: "Jetzt bist du dran, jetzt ist aber Schluss!". Dann stach er mehrfach in ihren Brustkorb. Die Frau wurde noch mit einem Rettungshubschrauber in die Uniklinik gebracht, die Ärzte haben bei ihr aber keine Hoffnung mehr.

Täter in psychiatrischem Krankenhaus untergebracht

Überwältigt wurde der Mann von anderen Studenten, gegen 15.25 Uhr sei es zu einem tumultartigen Gemenge gekommen. Durch das mutige Eingreifen konnten weitere Taten verhindert werden, sagte der Hammer Polizeipräsident Thomas Kubera am Samstag.

Der Psychologie-Student hat die Tat eingeräumt, er hätte keinen anderen Ausweg mehr gesehen, heißt es von der Polizei Hamm.

Zuletzt im April hatte die Polizei ausgeschlossen, dass er ein Gefährder sein könnte, also wegen seiner Erkrankung eine Gefahr für sich oder andere werden könnte. Er war freiwillig in Behandlung. Die Ermittlungen wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes laufen weiter unter Hochdruck, so die Polizei. Inzwischen wurde eine einstweilige Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

© WA / Andreas Rother
© WA / Andreas Rother

Notfallseelsorger im Einsatz

Die Polizei war am Freitagnachmittag im Großeinsatz, auch mit Spezialkräften. Es war gegen 15.30 Uhr, als der Täter in das Gebäude der Hochschule gegangen ist. Dort hat er auf den Fluren mit seinem Messer Menschen angegriffen. Dann hat er einen Hörsaal angesteuert. Dort haben Studenten gerade ihre Projekte vorgestellt. Er konnte von Anwesenden überwältigt werden.

Die HSHL hatte zur Versorgung der geschockten Studenten die Mensa geöffnet. Es gehe darum, «die Studenten bestmöglich aufzufangen», sagte Hochschul-Kanzlerin Sandra Schlösser. Notfallseelsorger kümmerten sich um die Augenzeugen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen. Außerdem durchsuchten mehrere SEK-Einheiten die HSHL.

Weitere Infos gibt es hier.

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Präsidentin der HSHL Kira Kastell

Alle, die sich am Freitagnachmittag in der Hochschule befunden haben, wurden durch Seelsorger betreut. Und auch die Präsidentin der Hochschule Hamm-Lippstadt war sehr mitgenommen.

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